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Hannoves Stadtwald: Vorfahrt für Naherholung und Naturschutz

Rund 13 Prozent der Fläche Hannovers ist mit Wald bedeckt (2.650 Hektar), knapp die Hälfte davon ist Stadtwald. Zwar sind die stadteigenen Wälder in Hannover wie die Eilenriede, Tiergarten, Seelhorst, Ricklinger Holz und Klosterforst Marienwerder traditionell in einem für Naturschutz und Naturerleben günstigen Zustand. Die Baumartenzusammensetzung ist mit vorherrschenden Eichen-Hainbuchen- und Buchenwäldern naturnah. Die in vielen Wälder durch Kahlschlagwirtschaft verbreiteten Altersklassenbeständen gibt es in Hannovers Stadtwäldern nicht - hier herrschen gemischtaltrige und damit strukturreiche Bestände vor. Trotzdem wurde im Stadtwald längst nicht soviel Natur zugelassen, wie es möglich gewesen wäre. Obwohl es politisch unbestrittenes Ziel war, dass in der Eilenriede und den anderen stadteigenen Wäldern Erholung und Natur Vorrang haben und forstliche Holznutzung an allerletzter Stelle stehen sollte, war die Praxis lange stark am Waldbau im Wirtschaftwald orientiert.

Mittlerweile sind wesentliche Punkte unserer langjährigen Forderungen erfüllt:

  • In etwa einem Zehntel der stadteigenen Wälder wurden Naturwaldflächen ausgewiesen. Hier ist jede Art von Holznutzung dauerhaft eingestellt.

  • Für den übrigen stadteigenen Wald sind verbindliche Regelungen zum Schutz besonders alter Bäume und Höhlenbäume getroffen worden

  • Vorrang von Naturverjüngung und natürlicher Sukzession statt künstlicher Verjüngung; Erhaltung von Lichtungen

  • Rücknahme der Entwässerung nasser Waldstandorte

  • Rückbau überflüssiger Wege

  • Zertifizierung des Waldes nach den FSC- und Naturland-Richtlinien

Damit leistet die Landeshauptstadt Hannover einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Nationalen Biodiversitätsstrategie, wonach unter anderem bis zum Jahr 2020 fünf Prozent der Waldfläche Deutschlands nicht mehr bewirtschaftet werden sollen. In Stadtwald werden heute 15 Prozent der natürlichen Entwicklung überlassen. Konsequenterweise wird der Hannoversche Stadtwald auf Betreiben der Naturschutzverbände und der damaligen Forstbetriebsleitung seit 2004 mit den ökologischen Waldzertifizierungen von Naturland und FSC (Forest Stewardship Council) ausgezeichnet.

Wegerückbau

Da die hannoverschen Stadtwälder einen hohen Stellenwert für die Naherholung und auch für Alltagswege mit dem Rad oder zu Fuß haben, ist das Wegenetz sehr dicht. Oft wurde beim Wegebau auch des Guten zu viel getan. Nach Angaben der Stadtverwaltung (Eilenriedebroschüre, Stand 2008) gibt es in der Eilenriede insgesamt 129 km Fuß-, Rad- und Reitwege. Im Schnitt kommen somit rund 200 laufende Meter Weg auf einen Hektar Wald, was ein ausgesprochen hoher Wert ist. Oft verlaufen Wege parallel und nah beieinander und die Übererschließung kann dann sogar aus Sicht der Erholungsnutzung störend sein. Aus Naturschutzsicht entstehen unter anderem Probleme mit der Verkehrssicherung der Wege. Die Förster sind verpflichtet, Bäume, die auf den Weg stürzen oder bei denen Teile der Krone auf den Weg herunterfallen könnten, zu entfernen oder zu kappen. Naturnaher Wald mit Alt- und Totholz kann sich in der Nähe der Wege kaum entwickeln. Der BUND hatte deshalb seit langem gefordert, die teilweise Übererschließung mit Wegen rückgängig zu machen.

1997 legte die Verwaltung ein Programm zum Rückbau überzähliger Wege in der Eilenriede vor, das von vier Bezirksräten, dem Eilenriedebeirat, dem Umweltausschuss, dem Bauausschuss und dem Verwaltungsausschuss ausgiebigst beraten wurde. Auch die Naturschutzverbände und der ADFC wurden angehört und trugen die Maßnahmen mit, die seinerzeit nach einem Jahr Diskussion vom Rat fast einstimmig beschlossen wurden.

Die wichtigste der Rückbaumaßnahmen war ein Radweg, der in Ost-West-Richtung in der südlichen Eilenriede verlief. Der Weg durchschnitt die aus Naturschutzsicht wertvollsten Teile des Waldes und war nicht notwendig, weil zwei parallel laufende Wege vorhanden waren. Wir hatten angeregt, im östlichen, feuchten Teil des Waldes feuchte Mulden, die beim Rückbau entstehen, nicht zuzuschütten und stellenweise auch zu vertiefen, damit für diesen Waldbereich früher typische Waldtümpel wieder entstehen. Obwohl dies dann auch verbindlich so beschlossen war, passierte 2001 das Gegenteil. Der Schotterunterbau des Weges wurde liegen gelassen und darüber schüttete die beauftragte Firma einen Wall aus Boden unbekannter Herkunft. Nach unseren Protesten musste der Boden untersucht werden und es stellte sich heraus, dass er stark schadstoffbelastet war, so dass er wieder aus dem Wald abtransportiert werden musste. Im zweiten Anlauf fand der Rückbau dann so statt, wie er von uns vorgeschlagen war.

Der westliche Teil des Weges wurde im Herbst 2006 zurückgebaut. Dies war gleichzeitig die letzte Maßnahme des Wegerückbauprogramms. Kurioserweise wachte jetzt, zehn Jahre nach langer öffentlicher Beratung und nach Umsetzung des Programms in verschiedensten Teilen der Eilenriede, die Hannoversche Allgemeine Zeitung auf und berichtete unter dem Titel „Stadt zerstört Wege in der Eilenriede“ von einem vermeintlichen Skandal. Kommentar der HAZ: „Absurd“.

Tatsächlich hat sich heute die scheinbare Zerstörung zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt. Auf der ehemaligen Wegetrasse haben sich spontan Gehölze ansiedelt. In den Mulden, die anstelle des Asphalts entstanden sind, wächst die seltene Wasserfeder und es tummeln sich Bergmolche und Grasfrösche. Der Wegerückbau war ein weiterer Schritt zu mehr Natur im Stadtwald.

Wiedervernässung

Das Verdursten der nassen Wälder

Die Entwässerung von Wäldern gehört in Mitteleuropa zu den größten Beeinträchtigungen von Waldökosys­temen. In Bereichen der früher weit verbreiteten Nasswälder finden sich kaum noch größere Flächen, die nicht von Gra­bensystemen durchzogen sind. Waldtypen nasser Standorte wie Erlenbruchwälder oder nasse Hainbuchenwälder zählen zu den am stärksten gefährdeten Waldbiotopen überhaupt.

Auch die hannoverschen Stadtwälder machen hier keine Ausnahme. So lassen sich in der südlichen Eilenriede auch noch in neuerer Zeit Verschlechterungen der Wasserversorgung nachweisen. Nasse Eichen-Hainbuchenwälder, die 1946 in einer Kartierung der Vegetationskundler Lohmeyer und Ellenberg noch relativ gut vertreten waren, sind heute kaum noch mit ihren typischen Arten vorhanden. Beispielsweise sind die damals noch stetigen gefährdeten Nasswaldarten Bach-Nelkenwurz (Geum rivale) und Winter-Schachtelhalm (Equisetum hyemale) selbst in den feuchtesten Bereichen in der Fläche verschwunden. Auch bei der Fauna lässt sich der Ausfall vieler Arten nasser Wälder nachweisen.

 

Entwässerungsgräben in der Eilenriede

Zu dieser Verschlechterung haben, neben großräumiger Veränderungen der Grund­was­ser­verhältnisse, die Gräben in der südlichen Eilenriede beigetragen. In der Vergangenheit ist ein durchgehendes Grabensystem vom Gebiet westlich des Kirchröder Turms in Richtung Pferde­turm angelegt worden. Diese Gräben, die, bis auf einen selten wirksamen Überlauf in den Landwehrgraben im Süden, keine Verbindung zu Vorflutern haben, führen praktisch dazu, dass bei hohen Wasserständen vor allem im Winter und Frühjahr das Wasser aus den Nasswaldflächen in den Inselgraben im tiefer gelegenen Westen der südlichen Eilenriede geleitet wird, wo es versickert. Das Ergebnis ist eine Beseitigung von Standortunterschieden, die aber gerade die Vielfalt und den Wert des Waldes ausmachen. Im Osten gehen nasse Standortverhältnisse verloren; im Westen sind dagegen die Grund­wasser­flurabstände so hoch, dass keine oberflächennah vernässten Standorte entstehen können.

Seit langem hatte die BUND-Kreisgruppe deshalb vorgeschlagen, dieses innere Entwässerungssystem der südlichen Eilenriede durch Staumaßnahmen außer Funktion zu setzen. Gefördert wurde unser Anliegen noch durch die Zertifizierung des hannoverschen Stadtwaldes, denn die Richtlinien für nachhaltige Forstwirtschaft der Organisation FSC verbieten die Anlage und Unterhaltung von Gräben zur Flächenentwässerung. Seit 2002 nahm die Stadtverwaltung unsere Anregung auf und baute in den folgenden Jahren einige Staue.

Erste Erfolge dieser Maßnahme waren überraschend schnell zu beobachten. Das Wasser wurde im Frühjahr länger in den Nasswaldbereichen gehalten. Seltene Pflanzenarten wie der Sumpf-Pippau (Crepis paludosa) und Dünnährige Segge (Carex strigosa) breiteten sich wieder aus. Amphibien wie Grasfrosch und Bergmolch profitierten davon, dass die Waldtümpel nicht so schnell austrockneten.

Im Winter 2007/2008 wurde die Wiedervernässung dann zum Politikum. Die höchsten Winter-Niederschläge seit 1928 sorgten in verschiedenen Teilen der Stadt für nasse Keller. Während anderswo nur der Himmel dafür verantwortlich gemacht werden konnte, waren für viele Anlieger der Eilenriede in Kleefeld die Wiedervernässungsmaßnahmen schuld. Tatsächlich ist ein Zusammenhang jedoch ausgeschlossen, schon deshalb, weil zwischen Eilenriede und Kleefeld ein tiefer Entwässerungsgraben, der Wolfsgraben, verläuft, der eine Ausbreitung oberflächennahen Wassers nach Norden verhindert.

 

Malaria als Naturschutzziel?

Das Thema kochte endgültig hoch, als die Hannoversche Allgemeine und ihre Stadtteilzeitung, der Stadtanzeiger Süd, unter dem Motto „Wiedervernässung schlägt hohe Wellen“ unzutreffende Informationen über das Projekt verbreiteten. Die Zeitungen erweckten den Eindruck, der gesamte Wald solle unter Wasser gesetzt werden, so dass die Rotbuchen absterben und ein Erlenbruchwald entsteht, wie es ihn vielleicht im Mittelalter einmal gegeben hat und der zum Namen „Eilenriede“ (Ellernried = Erlensumpf) geführt hat. Die Berichterstattung gipfelte in der Frage: „Ist es richtig, dass die Stadt die Eilenriede wieder zum Erlenwald machen will oder sollte der Stadtwald bleiben, wie er ist?“ Selbst dem Naturschutz aufgeschlossene Leserinnen und Leser äußerten sich ablehnend und teilweise aufgebracht wegen dieser angeblichen Pläne der Naturschützer. Die BUND-Kreisgruppe Region Hannover, die sich hinter die Verwaltung stellte, erhielt teilweise sogar Schreiben mit Beschimpfungen und mit Beschuldigungen, wonach wir für großflächiges Absterben des Waldes und für zukünftige Malariaepidemien verantwortlich seien.

In Wirklichkeit machen die Wiedervernässungsflächen nur etwa 12 Hektar der etwa 650 Hektar großen Eilenriede aus. Es handelt sich hier im Wesentlichen nicht um Bestände von Rotbuchen, sondern von Eichen, Eschen und Hainbuchen, die gut an die früheren und jetzt wiederhergestellten feuchten Verhältnisse angepasst sind. Zwar waren tatsächlich Buchen umgestürzt oder wurden am Rand eines Spielplatzes vorsorglich gefällt. Bei den umstürzenden Bäumen handelte es sich aber um Einzelfälle, die es auch vor der Wie­dervernässung gab, in manchen Jahren sogar in deutlich größerem Umfang, so zum Beispiel in dem trockenen Sommer 2003. Noch viel gravierender waren die regelmäßigen Verluste an Bäumen und Fahrschäden durch Fahrzeuge zu Zeiten, als hier noch Holznutzung betrieben wurde; der wiedervernässte Bereich liegt heute vollständig in den Naturwaldflächen der Eilenriede, wo keine forstwirtschaftliche Nutzung mehr stattfindet.

Sinn der Maßnahmen ist auch auf diesen Flächen nicht, einen Erlenbruchwald zu entwickeln. Ein Erlenbruchwald benötigt dauernd hohe Wasserstände. Dagegen ist die vorhandene Waldgesellschaft hier ein nasser Eichen-Hainbuchenwald. In der Kartierung von 1946 sind die nassen Eichen-Hainbuchenwälder der südlichen Eilenriede als Wälder beschrieben, die in Senken mit gehemmtem Wasserabfluss liegen, die im Winter und Frühjahr oft lange überschwemmt sind, im Sommer aber in den oberen Bodenschichten meist abtrocknen. Die Staue sollten nur ein unnatürlich schnelles Abfließen des Wassers im Frühjahr bremsen, so dass die Wasserverhältnisse dem natürlichen Zustand wieder stärker angenähert wären.

Tatsächlich sanken auch im Frühjahr 2008 die Wasserstände wieder deutlich ab und die Verhältnisse wurden im Sommer unauffällig. Die herbei geschriebene Empörung verstummte erstaunlich schnell. Vom Herbst 2008 bis in den Spätsommer 2009 setzte eine besorgniserregende Trockenheit ein, die die Aufregung um die Wiedervernässung vorerst ganz vergessen ließ.

Georg Wilhelm

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