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Zertifizierung der stadteigenen hannoverschen Wälder

Warum überhaupt Waldzertifizierung?

Die Vernichtung der tropischen Regenwälder hat vielen Menschen bewusst gemacht, dass sie mit dem Kauf von Tropenholz in den meisten Fällen ungewollt Naturzerstörung und Menschenrechtsverletzungen unterstützen. Tropenholzboykott allein ist jedoch keine Lösung. Denn Wald, der keine Erträge abwirft, droht erst recht in gewinnbringendere Nutzungen wie Palmöl-Plantagen oder Weideland umgewandelt zu werden. Außerdem findet auch in Wäldern außerhalb der Tropen Raubbau statt.

Seit dem Weltklimagipfel von Rio 1992 herrscht bei den Umweltverbänden daher Einigkeit, dass Wege gefunden werden müssen, eine umweltverantwortliche, sozial verträgliche und ökonomisch tragfähige Bewirtschaftung der Wälder der Erde zu unterstützen. Aus dieser Idee entstand der FSC (Forest Stewardship Council, zu deutsch Weltforstrat). Der FSC ist eine internationale Organisation, in der Umweltverbände, Holzindustrie, Gewerkschaften und Waldbesitzer zusammenarbeiten. In Forstbetrieben, die vom FSC zertifiziert werden, müssen die zehn von den beteiligten Organisationen ausgehandelten Prinzipien, zum Beispiel Ausschluss von Kahlschlägen oder von Biozideinsätzen, eingehalten werden.

Der FSC arbeitet mit Zertifizierern zusammen, die die FSC-Grundsätze entsprechend der nationalen Bedingungen konkretisieren und eine neutrale, unabhängige Beurteilung und Kontrolle gewährleisten. Die dadurch entstehende Glaubwürdigkeit gegenüber den Verbrauchern ist die besondere Stärke der FSC-Zertifizierung. Ein Zertifizierer in Deutschland mit besonders anspruchsvollen Richtlinien ist der "Naturland"-Verband, eine der großen Organisationen des ökologischen Landbaus.

Ist die Forstwirtschaft in Deutschland nicht ohnehin naturverträglich?

Wenn von naturverträglichem Waldbau die Rede ist, fällt oft das Argument, dass die Forstwirtschaft in Deutschland seit langem sowieso nachhaltig betrieben wird. Dabei wird aber übersehen, dass Nachhaltigkeit nicht nur ökonomisch verstanden werden darf ("nur soviel Holz nutzen, wie nachwächst"). Nachhaltiges Wirtschaften muss darüber hinaus auch Erhaltung der biologischen Vielfalt bedeuten. In diesem Sinne entspricht die Forstwirtschaft in Deutschland keineswegs durchgängig dem Nachhaltigkeitsgedanken. Bevorzugung standortfremder Nadelhölzer, Kahlschlagbetrieb, Pestizideinsatz, Entwässerung von Feuchtstandorten, Ausschaltung der biologisch bedeutsamen Altersphase des Waldes und Aufforstung wertvoller Offenlandbiotope sind nur einige Beispiele von Wirtschaftsweisen, die zur Verarmung von Natur und Landschaft geführt haben und auch heute noch keine Ausnahmen darstellen. Es ist deshalb durchaus auch in Deutschland sinnvoll, Waldbetriebe, die ein positives Beispiel für naturverträglichen Waldbau geben, durch eine Zertifizierung zu fördern.

 

Mogelpackung PEFC

Obwohl mit der FSC-Naturland-Zertifizierung ein fachlich anerkanntes international einheitliches Gütesiegel erfolgreich am Markt eingeführt worden ist, besteht die Gefahr der Verwirrung der Verbraucher durch verschiedene Öko-Labels, da europäische Waldbesitzerverbände ein weiteres System, die "Paneuropäische Waldzertifizierung" (Pan-European Forest Certification - PEFC), gegründet haben.

Inhaltlich fallen die PEFC-Richtlinien deutlich hinter den Kriterien des FSC zurück. Zum Beispiel sind keine „Referenzflächen“, in denen keine Holznutzung stattfindet, vorgeschrieben, die Waldbewirtschaftung orientiert sich nicht an den natürlichen Waldgesellschaften, sondern es werden lediglich "standortgerechte Mischbestände" angestrebt, Pestizideinsatz und Düngung bleiben möglich, Flächenentwässerung kann weiter unterhalten werden und für eine konsequente Totholzförderung sind ebenso wenig klare Aussagen vorhanden wie für effektiven Arten- und Biotopschutz. Ein noch gravierenderer Mangel ist die weitgehend fehlende Kontrolle der ohnehin schon schwammigen PEFC-Kriterien. Während bei der FSC-Zertifizierung die Einhaltung der Vereinbarungen auf einzelbetrieblicher Ebene regelmäßig überprüft wird, finden bei PEFC allenfalls Stichproben statt. Das FSC-Qualitätssiegel wird nach einer unabhängigen Prüfung verliehen, das von PEFC nach bloßem Unterschreiben einer Erklärung durch die Waldbesitzer. Es ist bedauerlich, dass die niedersächsischen Landesforsten die Einführung des PEFC-Siegels als Konkurrenz zu FSC stark vorangetrieben haben. Nach Auffassung der Umweltverbände BUND, Greenpeace, NABU, Robin Wood und WWF ist das PEFC-Siegel nicht als glaubwürdiges und fachlich seriöses Siegel für eine naturnahe Waldnutzung geeignet.

 

Naturland-Richtlinien zur ökologischen Waldnutzung

Der Naturland-Verband hat in Zusammenarbeit mit BUND, Greenpeace und Robin Wood Richtlinien zur ökologischen Waldnutzung erarbeitet. Die wichtigsten Punkte der Naturland-Richtlinien zur ökologischen Waldnutzung:

  • Kahlschlag und Monokultur sind verboten. 

  • Bäume werden nur selektiv geschlagen (nur einzelne reife Bäume oder kleine Baumgruppen).

  • 10% der Waldfläche werden als unbewirtschaftete Referenzfläche ("Lern- und Vergleichflächen") ausgewiesen; ihre Mindestgröße beträgt 20 Hektar. Im Vergleich des Nutzwaldes mit seinem örtlichen "Referenzgebiet" zeigt sich, ob die praktizierte Art der Waldnutzung für den Wald verträglich ist, oder ob andere, besser an das Ökosystem angepasste Methoden zum Einsatz kommen sollten.

  • Die natürliche Artenvielfalt insgesamt wird gefördert.

  • Naturverjüngung standortheimischer Baumarten genießt absolute Priorität.

  • Totholzanteile und Baumbestand sollen sich allmählich dem natürlichen Zustand annähern.

  • Der Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln ist verboten.

  • Vorrangiges Ziel ist eine ungestörte Waldbodenentwicklung: flächiges Befahren, Bodenbearbeitung und Entwässerung sind nicht gestattet.

Der genutzte Wald und die ungenutzte Fläche werden beobachtet und verglichen. In regelmäßigen Abständen werden Erhebungen durchgeführt, die die erreichte Anpassung an die natürliche Entwicklung festhalten. Die Kontrolle durch unabhängige Gutachter ist die Basis für die Glaubwürdigkeit des Naturland-Siegels. Dem Beispiel des bereits seit 1994 nach den Naturland-Richtlinien wirtschaftenden Stadtforstamt Lübeck (4500 ha Wald) sind inzwischen auch andere kommunale und private Forstbetriebe in Deutschland gefolgt und haben auf ökologische Waldwirtschaft umgestellt.

 

Erfahrungen mit der Waldzertifizierung in Hannover

Der Forstbetrieb der stadteigenen hannoverschen Wälder kann sich seit Mai 2003 mit den Umweltsiegeln FSC und Naturland schmücken. Angestoßen wurde die Zertifizierung Ende 1999 von der BUND-Kreisgruppe. Mit Blick auf die bevorstehende Forsteinrichtung, der Waldbetriebsplanung für die Jahre 2002 bis 2012, erhofften wir uns Impulse für eine naturnähere Waldbewirtschaftung und warben mit einem Positionspapier, Presseerklärungen und Gesprächen mit Verwaltung und Kommunalpolitikern für eine Zertifizierung nach den FSC- und Naturland-Richtlinien. Es folgten eine lange Diskussion, eine Anhörung im Umweltausschuss und ein Antrag der CDU-Fraktion, stattdessen eine PEFC-Zertifizierung zu beantragen. Im September 2000 beschloss die rot-grüne Ratsmehrheit dann eine FSC-Zertifizierung. Die Verwaltung beauftragte für die Forsteinrichtung einen von Naturland empfohlenen Forsteinrichter. Nun schien dem Ziel, mehr Natur im Stadtwald zuzulassen, nichts mehr im Wege zu stehen.

Heute ist die Bilanz der Zertifizierung, was die Auswirkungen vor Ort betreffen, aus unserer Sicht gemischter. Zweifellos hat sich die Praxis der Forstwirtschaft, die in Hannover ohnehin schon positiv von vielen anderen Wäldern unterschied, in mancher Hinsicht weiter in Richtung Naturnähe entwickelt. Zum Beispiel wurde stärker dazu übergegangen, Bäume, die weder einträglich zu verkaufen sind, noch andere Wertholzbäume bedrängen, im Bestand zu belassen.

Sehr positiv war auch, dass bei der Betriebsplanung die Naturschutzverbände eng eingebunden wurden und die Grundsätze der zukünftigen Bewirtschaftung im Konsens mit dem ehrenamtlichen Naturschutz formuliert wurden. Allerdings wurden entscheidende konkrete Festlegungen, vor allem die Auswahl der Referenzfläche, komplett ohne uns getroffen. Die aus unserer Sicht in Größe und Lage ungeeignete Fläche konnte nur durch eine nachträgliche Intervention aus der Politik korrigiert werden; das Verfahren und auch das Ergebnis wären aber sicher bei einer Beteiligung der Naturschutzverbände besser gewesen. Eine große Enttäuschung stellte für uns dar, dass der Naturland-Verband, der in seinen Richtlinien Referenzflächen auf zehn Prozent der Fläche des Forstbetriebs verlangt, allzu schnell zu Abstrichen bei dieser Forderung bereit war.

Womit wir ebenfalls nicht gerechnet hatten war schließlich, dass von Seiten des FSC Druck ausgeübt wird, verstärkt Bäume zu fällen. In seinem Evaluierungsbericht kritisierte der Zertifizierer, dass die Stadtverwaltung in den Vorjahren die festgelegten Hiebsätze mit Rücksicht auf die Erholungsnutzung erheblich unterschritten habe, dass also weniger Bäume als geplant gefällt wurden, und forderte: “Die Wirtschaftlichkeit muss verbessert werden, indem zumindest der Hiebsatz ausgeschöpft und damit der maximale Deckungsbeitrag aus dem Holzverkauf genutzt wird.“ So entsteht die aus unserer Sicht widersinnige Situation, dass die Stadtverwaltung, wenn sie aus Gründen des Naturschutzes und der Erholung weniger Bäume fällen will, Schwierigkeiten mit einem von den Naturschutzverbänden unterstützten Zertifizierer befürchten muss.

Georg Wilhelm

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