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„Bienenfreundliche“ Blühpflanzen töten Bienen!

16. Mai 2022 | Artenschutz, Bienen, Chemie, Insekten, Naturgarten, Umweltgifte

Hintergrund:

In der kürzlich veröffentlichten österreichisch-deutschen Global-2000-Studie wurde eine hohe Pestizidbelastung bei als bienenfreundlich im Handel angebotenen Zierpflanzen festgestellt. Damit besteht die große Gefahr, dass durch Massenanwendung von vor allem Insektiziden bei eigentlich von ihrer Natur her insektenfreundlichen Blühpflanzen das Gegenteil von dem erreicht wird, was Kunden für Balkon und Garten erreichen wollen: Den einheimischen Insekten Nahrung anbieten, aber ausgerechnet damit werden Insekten getötet.

Wir (Vorstand des BUND Region Hannover) wollten wissen, inwieweit auch in Hannover dieses Problem besteht, denn gerade beim Kauf solcher Pflanzen müssen Kunden erwarten können, dass von diesen Pflanzen keine Gefahr für Bienen oder andere Bestäubungsinsekten ausgeht.

Methodik:

Am 15.6.2021 kauften zwei Vorstandsmitglieder des BUND Region Hannover unangekündigt im Gartencenter Gehlhaar (Altwarmbüchen) und in den Baumärkten OBI und Hornbach (beide Altwarmbüchen) jeweils 3 verschiedene, auf den Etiketten oder vom Personal als bienenfreundlich bezeichnete Pflanzen. Alle Pflanzen waren in tadellosem Zustand und beginnend in Blüte. Je Pflanze wurden ca. 200g Blatt- und Blütenmaterial sofort in luftdicht verschlossenen Beuteln in ein Fachlabor in Hameln versendet und dort nacheinander Ende Juni bis Anfang Juli auf mehr als 350 verschiedene Pestizide untersucht. Den Inhabern bzw. Marktleitungen wurde das Vorgehen des BUND unmittelbar

nach dem Pflanzenkauf offengelegt. Sie wurden nach Abschluss der Studie mit den kommentierten Ergebnissen für ihren Betrieb informiert.

Ergebnisse:

  1. Die Deklaration als „bienenfreundlich“ war rein von der Pflanzenart her durchweg korrekt.
  2. 7 von 9 Pflanzen enthielten allerdings Rückstände von Insektiziden und/oder Fungiziden (Mittel zur Behandlung von pflanzlichen Pilzkrankheiten): 1-6 (Mittel 2,9) Einzelsubstanzen je Pflanze
  3. Die Art Salvia nemorosa hatten wir sowohl bei Fa. Gehlhaar als auch bei OBI gekauft, die Pflanzen unterschieden sich nicht in Größe oder sonstigen Äußerlichkeiten, es war kein Schädlingsbefall festzustellen. Allerdings waren in der Gehlhaar-Pflanze 5 verschiedene Pestizide nachweisbar (2 Insektizide und 4 Fungizide), die teils auch für Menschen gefährlich sind. Die OBI-Pflanze enthielt lediglich ein einziges Fungizid.
  4. Sowohl bei OBI als auch bei Gehlhaar hatten wir je eine Art in unserem Sortiment, in der sich gar keine Pestizide nachweisen ließen (Glockenblume und Gamander).
  5. In einer Art aus dem Gehlhaar-Sortiment wurde eine Kombination von 3 Insektiziden und 3 Fungiziden nachgewiesen, eines der Insektizide war ein Neonicotinoid, also zu einer Gruppe von Substanzen gehörig, die extrem bienengefährlich sind und deren Gefährlichkeit noch massiv zunimmt, wenn sie mit anderen Insektiziden oder mit bestimmten Fungiziden in Kombination angewendet werden. Die Substanz wurde in einer Konzentration nachgewiesen, die um den Faktor 120 über der minimalen Schädigungsdosis (LOEC) liegt.
  6. In einer anderen Art aus dem Gehlhaar-Sortiment wurde ein Fungizid nachgewiesen, das seit mehr als einem Jahr in der EU nicht mehr angewendet werden darf.
  7. Auf keinem der Pflanzenbehältnisse oder Etiketten fand sich ein Hinweis darauf, dass die Pflanzen mit sog. „Pflanzenschutzmitteln“, also Insektiziden oder Fungiziden behandelt worden waren.

Bewertung:

  1. Die meisten der gekauften und durchweg als bienenfreundlich klassifizierten Pflanzen waren wegen einer Vorbehandlung mit meist einem Mix aus mehreren Pestiziden nicht als bienenfreundlich einzuordnen, sondern stellen eine Gefahr für eine Reihe von Bestäubungsinsekten dar.
  2. Die Anwendung sogar eines Neonicotinoids an Blühpflanzen, die als Insektennahrung gedacht sind, ist wegen der besonderen Gefährlichkeit der Substanz und wegen der kumulativen Wirkung absolut unangemessen, zumal sie sich in Pollen und Nektar besonders anreichert.
  3. Solcherart behandelte Pflanzen auf dem Etikett als bienenfreundlich zu klassifizieren halten wir für einen Missgriff, der juristisch auf die Tatbestandsmäßigkeit des Betrugs zu überprüfen wäre.
  4. Unterschiedliche Produzenten scheinen Anwendungsvorschriften sehr unterschiedlich zu handhaben und Verordnungen nicht immer zu befolgen (z.B. Anwendung des nicht mehr zugelassenen Propiconazol).
  5. Unterschiedliche Produzenten setzen Pestizide in sehr unterschiedlichem Ausmaß ein, ohne dass die Qualität auch bei der verkauften unbehandelten Ware zu beanstanden wäre.
  6. Da manche Produzenten offenbar deutlich sparsamer mit Pestiziden umgehen als manche andere, lohnt es sich, als Händler die Produktionsbedingungen zu kennen und möglichst die Kaufentscheidung im Großhandel nach dem Ausmaß des Pestizideinsatzes zu richten.
  7. Da es offenbar Alternativen gibt, sollten Handel und Großhandel Druck auf die Produktionsbetriebe ausüben, den Pestizideinsatz auf ein absolutes Minimum zu reduzieren und Blühpflanzen gar nicht mit Insektiziden zu behandeln.
  8. Für die Behandlung von als Bienennahrung gedachten Blühpflanzen sollte es eine gesetzliche Deklarationspflicht für die Anwendung von Pestiziden geben, damit Händler und Endkunden informiert auswählen können. Noch besser wäre ein Verbot der Anwendung von Insektiziden an solchen Pflanzen.
  9. Die Öffentlichkeit muss über die hier referierten Ergebnisse und Hintergründe informiert werden, damit sie ihre Kaufentscheidungen danach richten kann, damit Handlungsdruck auf die Lieferketten entsteht und damit in der Folge die Situation für Bestäubungsinsekten und Artenvielfalt sich verbessert – unsere Ernährungssicherheit hängt davon ab!
  10. Der Pflanzenfachhandel ist leider nicht unbedingt mit hinsichtlich Bienenfreundlichkeit besserer Ware ausgestattet als Baumärkte – im hier aufgeführten Beispiel war sogar das Gegenteil der Fall. Der betreffende Händler zeigte sich allerdings glaubhaft sehr bestürzt über das Untersuchungsergebnis und versicherte, künftig keine pestizidbelasteten Pflanzen mehr kaufen zu wollen.

Wir werden eine gleichartige, aber deutlich umfangreichere Untersuchung im kommenden Jahr wieder durchführen und darüber berichten. Die Untersuchung im nächsten Jahr werden wir auch auf Lebensmittelmärkte ausdehnen, die Blühpflanzen verkaufen.

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